
Frau
und
Familie
£os £ftpRUßtnbfait
11. Juni 1983 — Folge 24 —
Seite
6
Fröhliches ABC
SiS — Ein
alter
Grandsatz
unserer
Redaktion
ist es,
unseren
Lesern
nicht
nur
Negatives,
Trauriges
und
Ärgerliches
anzubieten.
Das
Leben
ist
schon
manchmal
schwer
genug,
so daß
mancher
gern
etwas
Fröhli-
ches
lesen
möchte.
Deshalb
möchte
ich
Ihnen
heute
—
nach
meinem
„Ärgerlichen ABC" von der
vorheri-
gen
Woche
—
mein
„Fröhliches
ABC"
keineswegs
vorenthalten.
Si-
cher
werden
auch
Sie,
liebe
Leser
und
Leserinnen,
feststellen,
daß man
beim
genauen
Hinsehen
viele
posi-
tive
Seiten
des
Alltags
finden
kann.
Freuen
Sie
sich
also
mit mir über
Anrufer,
die, wenn sie sich verwählt
haben, sich für diesen Irrtum ent-
schuldigen
und nicht den Hörer
ohne Kommentar auf die Gabel
knallen
Busfahrer,
die eine kleine Verspä-
tung
in Kauf nehmen, dafür
aber
einen
a/jointfilesconvert/476224/bgehetzten Fahrgast noch
einsteigen lassen
Chefs
und ähnliche „hohe Tiere", die
auch
in hektischen Situationen
den
Humor
bewahren
Dichter,
die ihrer Berufsbezeichnung
wirklich
noch Ehre machen
Ehemänner, die ihre Frauen noch
nach
50 Jahren
fast
wie am ersten
Tag
lieben
Frauen,
die auch mit anderen Frauen
gut
und kameradschaftlich zu-
sammenarbeiten können
Großmütter, die mit
ihren
Enkeln
einen
Fußball über den Rasen
kicken
Hausbewohner,
die am Wochenen-
de
erst
nach der Mittagspause
neue
Bilder
in ihrer Wohnung
aufhängen
Journalisten,
die nicht nur
kritisie-
ren,
sondern die auch einmal
etwas Positives berichten
Kinder,
die sich höflich bedanken,
wenn
ein Fußgänger sie mit dem
Fahrrad
auf den Bürgersteig pas-
sieren
läßt
Leser,
die trotz mancher Ärgernisse
Verständnis für die Probleme
einer Redaktion aufbringen
Männer, die das
Kind
in sich ent-
decken
und mehr oder minder
verstohlen
mit einem Stock Ka-
stanien
vom Baum holen
Nachrichtensprecher,
die sich „ver-
haspeln"
und über ihre eigenen
Versprecher
lachen können
Ober,
die nicht nur sagen: „Kollege
kommt
gleich" und ihre Gäste
nicht
unter ihrer schlechten
Laune
leiden lassen
Politiker,
die ihre Wahlversprechen
tatsächlich halten
Querulanten,
die
wider
Erwarten
Einsehen
haben
Radiohörer, die ihr Gerät auch hin
und
wieder einmal auf
Zimmer-
lautstärke schalten
Steuerberater,
die auch mal eine
kleine
„Lücke im Gesetz" ent-
decken
Tierfreunde,
die bei aller Liebe zum
„Viech" den Menschen nicht ver-
gessen
Urlauber,
die ihre Ferien auch bei
Regenwetter genießen
Verkäuferinnen, die mir nichts auf-
schwatzen
wollen,
sondern
mich
aufrichtig
beraten
Werbetexter,
die
mich
als „mündi-
gen
Verbraucher" ansehen und
mich
nicht auf den Arm nehmen
Xylophonspieler,
weil
mir bei X
wie-
der
nichts Gescheites einfällt und
er wenigstens den
Yankeedoodle
aus
vollen
Leibes-
kräften spielen kann
Zeitungspapier,
das so
geduldig
diese und andere
Zeilen
auf-
nimmt!
I
Selbsthilfe
älterer
Menschen
Seit
25
Jahren
besteht
die
Lebensabendbewegung
Aktiv
im
Alter:
Durch
Beschäftigung dem
Leben
wieder einen
Sinn
geben
Foto Zimmermann
E
duard
Ziehmer, heute selbst schon
siebzig
Jahre
alt, gründete die Lebens-
abendbewegung,
als er 45 war, ein
Mann
„im besten
Alter"
also, der von der damaligen
Situation
älterer Menschen aufgestört, helfen
wollte,
helfen mußte. Die soziale Lage älterer
Menschen
insbesondere, wie sie lebten, wie
sie wohnten, ihre Einsamkeit, ihre Isolation
von
der „Leistungsgesellschaft", das alles
mußte geändert,
positiv,
menschenwürdig
verändert werden. In
vielen
Gesprächen mit
älteren Menschen gewann er
Einblick
in ihre
Probleme,
ihre Wünsche, vor allem
aber
in
ihre
offenbare Hoffnungslosigkeit, mit der
viele,
sehr viele von ihnen, ihre Situation an-
sahen. Der Wunsch, diese Gespräche
fortzu-
führen, sie vor allem zu greifbaren Resultaten
zu
bringen, wurde
dringend.
Von der in
ihren
Wiederaufbauwillen,
das „Wirtschaftswun-
der"
verstrickten Öffentlichkeit, deren Inter-
esse
vor allem der Verbesserung der eigenen,
individuellen
Situation galt, war keine greifba-
re,
keine wirksame
Hilfe
zu erwarten. Selbst-
hilfe
war geboten. Woran es fehlte: die geeig-
nete
Organisation,
vor allem
jener
Kristallisa-
tionspunkt,
an dem sie sich dauerhaft
bilden
konnte.
Eduard
Ziehmer wurde zu diesem
Kristalli-
sationspunkt.
Die Gründung der Lebens-
abendbewegung
1958 gab — zuerst wenigen,
dann
vielen,
schließlich hunderttausenden äl-
teren Menschen
Hoffnung
auf einen
Ausweg
aus ihrer
Misere.
Rat vor allem
wurde
gesucht,
Ermunterung,
die direkte, praktische
Hilfe.
Ein
Monatsblatt
„Aktiver Lebensabend",
zwei
Jahre
später gegründet, ist in seinem
Titel
seither Programm geworden: aktiv bleiben,
das
Alter
annehmen, es bejahen, sich damit
identifizieren.
Die
Anerkennung
dieser Selbst-
hilfe
blieb nicht aus. Heute — und schon viele
Jahre
— gehört die Lebensabendbewegung
dem
Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsver-
band,
dem Deutschen
Verein
für öffentliche
und
private Fürsorge und der
EURAG,
der
Gemeinschaft für ältere Menschen in
Europa,
an.
Während
in
den ersten Jahren vor allem Not
zu
lindern
war, in der Öffentlichkeit das Inter-
esse
für die Probleme älterer Menschen ge-
weckt,
den Institutionen vor allem die
Augen
geöffnet werden mußten über den desolaten
Zustand
der Altersversorgung in der Gesell-
schaft, haben sich heute die Probleme auf an-
dere Ebenen verlagert. Die nackte Not ist ver-
schwunden
— dort, wo sie in Einzelfällen
sichtbar
wird,
kann sie — auch
institutionell,
also dauerhaft a/jointfilesconvert/476224/bgesichert — beseitigt wer-
den.
„Den Lebensabend
wertvoll
machen,
seine Chancen
optimal
nutzen",
darum
be-
müht man sich. Und gerade in naher
Zukunft,
die
die Lebensarbeitszeit verringern
wird,
gilt
es ältere Menschen zu aktivieren, ihnen diese
verlängerte Zeit des Lebensabends tatsäch-
lich
lebenswert zu machen.
Dazu
gehört vor
allem
die geistige und körperliche Beweglich-
keit.
Das Lernen im
Alter
— auch das ist eine
der
vielen
Erkenntnisse aus den Erfahrungen
der
Lebensabendbewegung heraus — ist nicht
weniger
wichtig
als in der Jugend. Es hält gei-
stig
frisch,
verleiht körperliche Spannkraft, zö-
gert das
Altern
hinaus
und
weckt das
Interesse
in
hohem Maße für die Eigenverantwortung
bei
der körperlichen Gesundheit. Was ange-
boten
wird,
geht nahtlos ineinander über:
Fortbildung,
Gedächtnistraining, Gymnastik
und
aktive
Erholung.
Über Formen und Mög-
lichkeiten
der
Selbsthilfe,
die
geradezu
als
Spi-
ritus
rector, als der belebende Geist, der Le-
bensabendbewegung angesprochen werden
muß,
wird
in besonderem Maße informiert:
Selbsthilfe füreinander vor allem, für sich
selbst, für den Mitmenschen, Informationen
jedoch auch über das Zeitgeschehen, um die
Isolation
zu bannen, sie in aktive Teilnahme
und
Einwirkung
in
Politik,
Wirtschaft,
Wis-
senschaft und Technologie
umzuwandeln,
Ebenen,
von denen die
Zukunft
der Menschen
auf dieser Erde abhängt.
Die
politische
Kraft
des älteren Menschen
ist
seither gewachsen. Sie ist im heimatlichen
Bereich
und bei gravierenden
kommunalpoli-
tischen
Entscheidungen über die Bürgerinitia-
tiven
häufig entscheidend. Manche in ihrer
Auswirkung
bedrohliche Veränderung, etwa
in
der
Umwelt,
konnte im Protest gerade der
Mitglieder
der Lebensabendbewegung recht-
zeitig
a/jointfilesconvert/476224/bgewendet, Positives gefördert und
durchgesetzt werden. Und gewiß
ging
gerade
von
hier der
Wille
zur Verständigung
zwi-
schen den Generationen aus. In mehr als 120
Altengemeinschaften
in der Bundesrepublik
Deutschland
wurde
gerade dieser Problematik
erhöhte und vor allem pragmatische
Auf-
merksamkeit
geschenkt.
In
den vergangenen 25 Jahren hat sich die
Lebensituation
der älteren Generation auf er-
freuliche
Weise
gebessert.
Voreingenom-
menheiten,
Klischees konnten a/jointfilesconvert/476224/bgebaut,
wenn
auch noch nicht
voll
beseitigt werden.
Fröhlichkeit vor allem ist auch in jenen Le-
bensbereich eingekehrt, der über die ernsthaf-
te Würde, Not und Isolation zu überdecken
suchte. Sich der eigenen Menschlichkeit im
Alter
bewußt
werden,
sich ihr bewußt bleiben,
und
zwar
auf allen Lebensgebieten,
darin
wurde
vieles erreicht,
wird
vieles noch weiter
angestrebt. Es
ging
vor einem
Vierteljahrhun-
dert
von der Initiative eines einzelnen aus.
Auch
das ist symbolisch: vom einzelnen für
den
einzelnen,
allein
für den Menschen und
seine Persönlichkeit. Wolfgang
Altendorf
Die
Geschichte
mit dem
verflixten
„Dingdong
Von
einer
nachdenklich
stimmenden
Begegnung
in
unseren
Tagen
erzählt
Helga
Smolarczyk
V
or
den Schaltern des Postamtes 2
stauten sich die Postkunden — als hätte
man
hier
erst
jetzt
gegen
Abend
geöffnet
und
nicht schon den ganzen Tag. Sie lernen es
nie
.... dachte der weißhaarige Beamte in der
Ecke
am letzten Schalter. Manche haben si-
cher tagsüber Zeit —
aber
nein —partout auf
die
letzte
Minute
müssen sie kommen! Wo
abends ohnehin all die Berufstätigen auftau-
chen
...
Am
Nebenschalter begriff eine Rentnerin
zum
vierten Mal nicht —
durch
das Gedränge
hinter
ihr nervös gemacht —, wie sie für
ihren
kleinen
Enkel
ein Postsparbuch anlegen kann.
Auch
sie, dachte der weißhaarige Beamte,
könnte doch im Laufe des
Tages
kommen ...
Die
Menschenschlangen wuchsenNervo-
sität
hing
im Raum — alle hatten es
eilig,
jetzt,
da
der Tag zur Neige
ging...
Da waren sorgen-
volle,
a/jointfilesconvert/476224/bgespannte Gesichter; gesunde,
kran-
ke,
junge, alte Gesichter. Scharrende, unge-
duldige
Füße. Und „... das dauert mal wieder
...!"
Und
plötzlich machte es: „Dingdong —
Dingdong
—
Dingdong!"
— Grabesstille im
Schalterraum!
—
Und
dann
wieder:
„Dingdong
—
Dingdong!"
Die
Köpfe der Wartenden ruckten herum.
Die
Blicke huschten an den Wänden entlang,
fanden
nichts, was sie dort vermuteten. Nur in
der
mittleren Reihe reckten sich die Köpfe
nach
unten, zu einer großen Einkaufstasche
am
Boden. Neben der Tasche stand eine alte
Frau
mit hochrotem Gesicht, wie erstarrt.
Und
wieder ertönte das klangvolle „Ding-
dong".
„Verrücktes
Ding!"
murmelte die Frau
nervös und schüttelte die Tasche. Das „Ding-
dong"
schwieg.
Doch
sobald die Tasche in Ru-
hestellung
war, beeilte sie sich, ihr
Inneres
er-
klingen
zu lassen. Laut! Raumbeherrschend.
Schmunzeln
machte sich bereit, dann fröh-
liches
Gelächter. Bei diesen melodischen
Tönen hatten es die
Eiligen
gar nicht mehr so
eilig;
die Spötter ließen Witze vom Stapel; ein
Jugendlicher
rief: „Was macht die Oma mit
dem
.Dingdong'?" Und ein anderer
setzte
hinzu:
„Es schlägt und schlägt und schägt..."
Nur
die alte Frau
wand
sich vor Verlegen-
heit,
hob die Tasche hoch, kippte sie seitwärts,
schüttelte sie. Stopfte schließlich
ihren
schwarzen
Hut
hinein,
um so das vermaledeite
„Dingdong" zu dämpfen. „Das nächste
,Kling-
klang'
kommt bestimmt!"
sagte
ihr
Hinter-
mann
in der Reihe feixend.
Als
sich nach ein paar Sekunden Pause mit
kratzendem
Schnarren ein erneutes „Ding-
dong"
ankündigte, ergriff die alte Frau mit
allen
Zeichen der Panik die Tasche. Hastete
stolpernd
— begleitet von melodischem
Zweiklang
— aus dem Postamt.
Blindlings!
Über die Straße.. Fast in ein ankommendes
Auto
hinein.
Im
letzten
Augenblick
wurde sie zurückge-
rissen:
„Kommen Sie, ich bringe Sie zum
Uhr-
macher — da
wollten
Sie doch sicher hin? Ich
war
am Schalter schon fertig..."
„Immerhin
ging
es gut... Das Schlag-
werk
...", stammelte die verstörte
Frau.
„Daß
sie ausgerechnet auch im Postamt verrückt
spielen
mußte..."
„Das war doch sehr
lustig!"
sagte
der hilfsbe-
reite, graumelierte
Herr,
seinen Wagenschlag
öffnend. „Wenn einer nur die rechten Worte
gefunden
hätte, wären Sie doch sicher nicht
Hals
über
Kopf
davongelaufen...?"
„Nein —
aber
sie lachten bloß alle..."
Ich
auch, dachte der freundliche
Herr,
ich
auch
— wenn ich die Aufgeregte nun nicht
rechtzeitig
von der Fahrbahn gerissen hätte...
Bald
wird
der
Holunder
wieder
blühen
Oder:
Wie ein
Baum
im
Menschen
neue
Hoffnung
wecken
kann
Ich
mußte einiges zurückschneiden, es wächst
mir
alles über den
Kopf."
— An ein
Austreiben
des Holunders glaubte ich
kaum.
In
den Wintermonaten war alles Leben wie
erstarrt — auch mein
Herz.
An einem Winter-
tag
war mein
Mann
nämlich unerwartet ge-
storben. Ich gewahrte
kaum,
wie der Frühling
kam
...
In
der Woche nach Ostern lockte
mich
ein
Schwärm lärmender
Stare
in den Garten, die
sich
in der hohen Eiche versammelt hatten.
Die
warmen Sonnenstrahlen belebten meine
Glieder
und
Sinnen. Ich hörte die Vögel singen.
Dann
fiel
mein
Blick
plötzlich auf den zurück-
geschnittenen Wunderbaum, wie der
Holun-
der
wegen seiner
Heilkraft
im
Volksmund
einst genannt
wurde.
Er streckte seine
kurzen
Aste
nicht mehr wie anklagend gegen den
Himmel.
Das Wunder war sozusagen über
Nacht
eingetreten. Er
trug
bereits in den Spit-
zen
kleine Blätter. Am Stammansatz, dicht
E
in
Vogel
hatte
den Samen vor über 20
Jahren in unseren Garten getragen. Der
Holunder
wuchs zu einem stattlichen
Baum
heran. Er stand allerdings an ungünsti-
ger Stelle und überschattete den Gartenweg.
Zur
Erntezeit übersäte er in jedem
Jahr
die
Kieselplatten
mit unzähligen dunkelroten
Beeren, welche die Vögel aus den
Zweigen
fal-
len
ließen. Wer unachtsam über den Weg
schritt,
trug
ihren
roten Farbstoff auf den Tep-
pichboden
ins
Haus.
Da
fiel
zum ersten
Male
der
Satz: „Der
Holunder
muß weg!"
Mehrere
neue Pflanzen wuchsen bereits
nach.
Eine kräftige behauptete sich sogar
unter einer hundertjährigen Eiche im Vorgar-
ten
und
trug
schon einige Blüten und Früchte.
Eine
weitere Holunderpflanze wurde im
Obstgarten
von den Bäumen geduldet.
Da
schnitt mein
Mann
den alten
Holunder
im
November so stark zurück, daß von seiner
Ursprünglichen
Form
wenig
übrig blieb.
U
h er-
schrak.
Mein
Mann
tröstete
mich:
„Du wnst
sehen, daß er im Frühjahr neue Reiser treibt.
-tammansatz,
über dem knorrigen, trieb er neue Reiser mit
Blattwerk.
Christel
Looks-Theile
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